Zum Glück wurde das Bild Virgin with Saint John the Baptist and Saint Jerome fälschlicherweise van Eyck zugeschrieben, sonst gäbe es nicht einmal den spärlichen Hinweis auf dem Internet, dass ein Bild dieses Namens zur Sammlung Proehl gehört hatte. Forscht man weiter, so wird schnell klar, dass es nicht etwa von Jan van Eyck sondern von einem seiner Schüler, nämlich Petrus Christus stammt. Es soll auch im Besitz von Hans Cramer gewesen sein, der als Sachverständiger im Rückgabeverfahren Lemberger-Proehl auftrat. Eine Abbildung wäre in einem Werk von Friedländer zu finden (Max J. Friedländer: Die altniederländische Malerei, Band II, Abbildungen 42, 142 und Band I, Abbildung 98).
Petrus Christus war ein flämischer Maler der um 1410-20 geboren wurde und 1472 oder 1473 starb. Er war ein Schüler van Eycks. Ihm konnten nur sechs seiner Werke anhand seiner Signatur direkt zugewiesen werden. Bekannt wurde er vor allem vor seine nüchternen Portraits, in seinen religiösen Darstellungen konnte er seinen Meister nicht erreichen. Mit dem Wissen, dass das Bild, wie Ernst Proehl ursprünglich wohl nicht wusste, von Petrus Christus stammt, konnte ich mich weiter auf die Suche machen. Dabei gelangte ich an eine sehr interessante Disziplin: Dendrochronologie.
In dieser wird anhand der Baumringe und den Erfahrungen aus der Klimaforschung erschlossen, wann das Holz, welches für das Bild gebraucht wurde, gefällt wurde. Da in der Tabelle für das Bild drei verschiedene Schätzungen vorliegen, ist es klar, dass es sich um einen Teil eines Triptychons auf Holz handeln muss. Zur Schätzung des Alters wird zwischen Weichholz und Hartholz unterschieden. Weichholz sind die außenliegenden Holzschichten eines Stammes, die noch im Saft stehen, d.h. dass durch sie Wasser transportiert wird. Im Inneren des Stammes ist das dunklere Kernholz, dass nur noch Festigungsfunktion hat. Für Holztafeln wurde Hartholz verwendet. In der Schätzung wurde von einer Minimumanzahl von 9 zusätzlichen Weichholzringen ausgegangen. Dadurch ist der frühestmögliche Zeitpunkt des Fällens eingrenzbar. Er liegt für Paneel 1 im Jahre 1442. Die Bäume, die Petrus Christus für die Tafeln gebrauchte, wurden 1407, 1433 und 1399 gefällt. Sie waren 105, 190 und 96 Jahre alt. Das frühestmögliche Entstehungsdatum für das Triptychon ist also das Jahr 1442 (ausgehend von 9 Weichholzringen). Das geschätzte Datum des Fällens wäre 1448, falls es 15 Weichholzringe waren. Kalkuliert man noch eine durchschnittliche Lagerzeit des Holzes von zehn Jahren ein, liegt man bei einem möglichen Entstehungsdatum von 1458.
Die Dendrochronologie war für die Tafelmalerei des 16. Und 17. Jahrhunderts von großer Wichtigkeit. Sie konnte unter anderem nachweisen, dass das Holz für einige der Werke, die Hieronymus Bosch zugeschrieben wurden, erst nach Boschs Tod gefällt sein konnten.